Zeichen der Solidarität an Fenstern und Balkonen brachten mich durch Corona

Zeichen der Solidarität an Fenstern und Balkonen brachten mich durch Corona

Neulich, als ich wieder einmal in der Straßenbahn saß, hörte ich die Ansage: „Seien sie solidarisch mit ihren Mitmenschen und tragen Sie einen Mund-Nasen-Schutz“. An dem Begriff „solidarisch“ blieben meine Gedanken hängen. Ich mag den Begriff sehr und bin sehr davon überzeugt, dass wir alle, wenn wir nur solidarisch miteinander sind, auch gut miteinander auskommen können.

„Solidarität“, dieser überaus wertvolle Begriff, stand in den letzten zwei Jahrzehnten unter starkem Beschuss. Fast schon zu altmodisch kam sie daher, die „Solidarität“ – ein irgendwie alberner Kampfbegriff aus längst vergangenen Zeiten. „Wenn jeder für sich sorgt, dann ist für alle gesorgt“, war die Devise. So ein Unsinn!

Systemrelevante Ämter entlasten

Ich habe am Anfang der Pandemie im März und April dieses Jahres in der Corona-Bürgerhotline der Stadt Kassel gearbeitet. Es ging darum, nicht alle Anrufe an das Gesundheits- oder Ordnungsamt durchzustellen und Fragen der Bürgerinnen in der Hotline vorab zu beantworten, um so die Kolleginnen in den systemrelevanten Ämtern zu entlasten. Einige Anrufe waren auch von verängstigten und vereinsamten Menschen, denen es gut getan hat, dass ihnen jemand zugehört und mit ihnen gesprochen hat. Ich habe sehr viel Lob bekommen, mir manchmal aber auch blöde Anmerkungen anhören müssen. Insgesamt aber waren die Anrufenden sehr freundlich und dankbar, dass die Stadt das Corona-Bürgertelefon eingerichtet hat.

Eines Abends, völlig müde von acht Stunden Dienst in der Corona-Hotline, hatte ich das Bedürfnis, einfach so durch den Vorderen Westen zu radeln und den Kopf freizubekommen. Es war, Sie werden sich daran erinnern, sehr wenig los in den Straßen. Über dem Stadtteil lag eine ruhige, behutsame Atmosphäre: In der Goethestraße hörte ich wunderschöne Klänge. An den offenen Fenstern musizierten einige Hausbewohnerinnen für die Leute auf der Straße und ihre Nachbarn, es war ein überwältigender Moment. An der Herkulesschule blühte ein Baum im rosa Gewand. In der Pestalozzistraße hing immer noch das orangene Laken mit dem Spruch „Baut Brücken – keine Mauern“.
Im Haus gegenüber waren am Zaun selbst gebastelte und mit Mut machenden Worten beschriftete Sterne aus Pappe angebracht, die man mitnehmen konnte. Den Stern, beschriftet mit „Vertrauen“, habe ich mitgenommen.
Die Solidarität lebt!

Rund um den Bebelplatz hängen immer noch jede Menge Banner. Auf den Bannern wird für eine gelebte Solidarität für die Menschen geworben, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit an den Grenzen der Europäischen Union unter menschenunwürdigen Verhältnissen festgehalten werden.

Ich war an diesen Tagen, an denen ich nach der Arbeit zum Abschalten so gerne durch den Vorderen Westen geradelt bin, sehr stolz auf unseren Stadtteil. Ich fühlte mich geborgen und stellte mir vor, dass ich im Notfall – aus welchen Gründen auch immer – an jeder dieser Türen klingeln könnte. Hier würden Menschen sein, die ihre Türen öffnen, die helfen und beistehen, die sich für mein Schicksal interessieren würden.
Gelebte Solidarität hat ganz viele unterschiedliche Formen, Ausdrücke und Facetten. Die Banner, Sterne und Schriftzüge an den Fenstern, Balkonen und Zäunen sind die sichtbaren Zeichen solidarischer Gedanken. Ich habe aus all dem sehr viel Kraft geschöpft; ich bin mir sicher, dass ich nicht die einzige war und bin.

Danke, an all die wunderbaren Menschen, fühlt euch in Gedanken ganz fest gedrückt.

Teslihan Ayalp
Stellv. Vorsitzende der SPD Kassel,
Gewerkschafterin bei Verdi

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